Alle haben wir Handys, chatten und sehen uns Fotos und Videos an: längst ist die digitale Welt zum integralen Bestandteil unseres Alltags geworden. Von der Filmkamera, die aufs Handy gerichtet ist, über das Einblenden von Textnachrichten, Youtube- oder TikTok-Videos erstreckt sich die Palette der Techniken, die heutzutage vielfach in Filme eingebettet werden. Dabei scheinen sie vor allem eines gemeinsam zu haben: sie wirken im ästhetischen und formalen Gesamtkonzept des Films wie Aufnahmen zweiter Klasse. Ganz anders verhält sich die Sache bei Kurdwin Ayub viel gelobten ersten Langspielfilm. Mit „Sonne“ begibt sich die Regisseurin in die Welt von drei Schülerinnen, die mit einem Video einer Cover-Version von R.E.M.s „Loosing my Relgion“ einen Hit in den sozialen Medien landen.
Als Zuschauer*in fällt es bald nicht mehr ins Gewicht, ob die mit einer Profikamera oder mit dem Handy aufgenommenen Bilder über die große Kinoleinwand flimmern. Alles verwebt sich zu einem wunderbaren Konstrukt einer Welt, in der das Smartphone allgegenwärtig ist und man neben seiner realen Persönlichkeit auch sein digitales Ich verwalten muss.
Dass diese digitalen (Selbst-)Darstellungen nur einen Teilaspekt unserer Realität widerspiegeln können, der sich oftmals geschönt von unserer tatsächlichen Situation unterscheidet, liegt auf der Hand – worum es in „Sonne“ jedoch keinesfalls geht, ist die Influencerproblematik breitzutreten. Dafür ist die Handlung zu vielschichtig. Gekonnt spielt die Regisseurin, ohne jemals moralisierend zu wirken, mit gesellschaftlichen Zuschreibungen. Beiläufig wirkend werden hier Fluchterfahrungen thematisiert, die Menschen und nachfolgende Generationen prägen, Geschlechterrollen dekonstruiert und feministische Themen verhandelt, die seit Jahren für Kontroversen sorgen. Yesmin (Melina Benli) trägt als einzige der drei Freundinnen (Law Wallner und Maya Wopienka) Kopftuch; damit wird sie offenkundig zur Projektionsfläche diverser (männlicher und weiblicher) Vorstellungen. In rund 87 Minuten werden zahlreiche Diskussionsräume geöffnet – zum Drama spitzt es sich in keinem von ihnen zu. Kurdwin Ayub erzählt flott und aus dem Leben gegriffen. Am Ende wehen Yesmins Haare im Wind und der Gedanke kommt auf, dass ziemlich viel Tamtam in dieser Welt um ein bisschen abgestorbene Zellen betrieben wird. „Sonne“ wurde bei der Berlinale mit dem GWFF Preis für den besten Erstlingsfilm ausgezeichnet und zählt zu jenen Arbeiten von Regisseur*innen, die man gerne weiterschauen würde. „Mond“ und „Sterne“ sollen folgen.
Sonne. Ein Film von Kurdwin Ayub. Mit Melina Benli, Law Wallner, Maya Wopienka. Produktion: Ulrich Seidl Filmproduktion. 87 Minuten.
Kinostart: 13. September
Stadtkino im Künstlerhaus (Akademiestraße 13, 1010 Wien)
SONNE-Plakat-Stadtkino © Stadtkino Filmverleih
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